GdB-Tabelle nach der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV)
Schwerbehinderung und Schwerbehindertenausweis
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 10. Senat
13.03.2024
L 10 SB 17/20
Juris
Tatbestand
Die Klägerin begehrt einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 ab dem 1. April 2017.
Im Dezember 2010 beantragte die Klägerin bei dem beklagten Land erstmals die Feststellung eines GdB im Wesentlichen wegen Wirbelsäulenbeschwerden, Migräne und Depressionen. Dieser Antrag war von dem beklagten Land mit Bescheid vom 6. April 2011 abgelehnt worden.
Im Juni 2018 beantragte die Klägerin ein weiteres Mal die Feststellung eines GdB wegen orthopädischer sowie psychischer Beschwerden. Die Feststellung sollte rückwirkend ab April 2017 gelten. Das beklagte Land zog Befundunterlagen der behandelnden Ärzte der Klägerin bei und stellte mit Bescheid vom 15. August 2018 aufgrund der Funktionsbeeinträchtigung „seelische Störung, chronische Schmerzstörung (Einzel-GdB: 30)“ ab dem 1. April 2017 einen GdB von 30 fest. Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei durch die Kombination ihrer Erkrankungen erheblich eingeschränkt. Sie habe starke Schmerzen durch die Achillodynie und auch in den Knie- und Hüftgelenken. Wegen einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und Bluthochdruck sei sie kurzatmig. Sie habe nachts starke Schmerzen und leide deshalb unter Tagesmüdigkeit. Das beklagte Land zog weitere Berichte der behandelnden Ärzte der Klägerin sowie die bei der Deutschen Rentenversicherung Bund über die Klägerin geführten medizinischen Unterlagen bei, beteiligte seinen ärztlichen Dienst und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2019 zurück. Dabei hatte es auch Lungenfunktionsstörungen und einen Schultergelenksschaden rechts berücksichtigt, diese hatten jedoch keine Auswirkungen auf die Höhe des Gesamt-GdB.
Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Hannover hat die Klägerin die Feststellung eines GdB von 50 verlangt und zur Begründung ausgeführt, die COPD-Erkrankung sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Sie habe ständig Schmerzen an den Achillessehnen, am Schultergelenk und den Kniegelenken. Die Achillodynie sei chronisch, insoweit sei von einem Einzel-GdB von 20 auszugehen. Die rechtsseitigen Schultergelenkseinschränkungen seien mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten, die Funktionsbeeinträchtigung der Kniegelenke mit Bewegungseinschränkungen seien mit einem Einzel-GdB von mindestens 20 zu bewerten. Bisher nicht berücksichtigt worden sei das Migräneleiden, das mit einem Einzel-GdB von 20 bis 40 zu bewerten sei. Sie leide drei- bis viermal im Monat für mehrere Tage unter starker Migräne. Schließlich leide sie unter depressiven Stimmungsschwankungen, ihr psychisches Leiden sei mit einem Einzel-GdB von mindestens 30 zu bewerten. Zusätzlich sei das Fibromyalgie-Syndrom zu bewerten.
Das SG hat Befundberichte von den die Klägerin behandelnden Ärzten beigezogen und ein Gutachten der Ärztin für Pneumologie, Allergologie und Sozialmedizin, Dr. E., veranlasst. Diese Sachverständige hat unter dem 22. Dezember 2019 im Wesentlichen ausgeführt, in der Vergangenheit habe keine regelmäßige lungenfachärztliche Betreuung stattgefunden. Atemnot habe sich vor ca. zehn Jahren eher schleichend eingestellt und sukzessiv zugenommen. Berichtet habe die Klägerin darüber, bei Belastungen schnell einen roten Kopf zu bekommen und besonders in trockener Luft unter Reizhusten zu leiden. Sie rauche aktuell ca. zehn bis zwölf Zigaretten täglich. Sie halte sich möglichst häufig im Freien auf, zweimal wöchentlich betreibe sie Wassergymnastik, erhalte auch Physiotherapie. Sie lebe allein und versorge ihren Haushalt selbständig. Migräne-Kopfschmerzen würden ca. zweimal monatlich über jeweils drei Tage anhaltend auftreten. Die orientierende neurologische Untersuchung sei regelrecht gewesen, das Verhalten situationsadäquat, gute Mitarbeit, subdepressive Stimmungslage. Nebenbefundlich habe sich eine degenerative Veränderung an der Brustwirbelsäule (BWS) gezeigt. Im Vordergrund stehe bei der Klägerin eine seelische Störung mit einer chronischen Schmerzkrankheit bei degenerativen Skelettveränderungen und migräneartigen Kopfschmerzen. Die psychoreaktive Störung sei nach dem OEG mit einem GdS von 40 entschädigt worden, diese Bewertung sei höher, als die bislang nach dem SGB IX berücksichtigte Gesundheitsstörung „seelische Störung, chronische Schmerzstörung“. Es bestehe ein Asthma bronchiale mit Übergang in eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung (COPD) die keine regelmäßige inhalative Therapie erfordere. Die Klägerin habe über eine gewisse Belastungsdyspnoe berichtet, im Vordergrund stehe aber ein Reizhusten. Die aktuellen Lungenfunktionsuntersuchungen dokumentierten eine leichte teilreversible obstruktive Ventilationsstörung der kleinen Atemwege mit einer konsekutiven leichten Lungenüberblähung und Diffusionsstörung. Eine Gasaustauschstörung bestehe nicht. Dies entspreche einer Lungenfunktionsbeeinträchtigung mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion geringen Grades, was mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sei. Die Sachverständige hat diese Gesundheitsstörung eher als chronische Lungenfunktionsstörung und nicht als Asthma bronchiale beurteilt, da die Klägerin keine anfallsweise Atemnot angegeben hatte. Die Sachverständige hat die Bewertung des psychischen Leidens mit einem Einzel-GdB von 40, der Lungenfunktionsstörung mit einem Einzel-GdB von 20, der Migräne mit einem Einzel-GdB von 20, des Schultergelenkschadens rechts mit einem Einzel-GdB von 10 und zusammenfassend einen Gesamt-GdB von 50 ab April 2017 empfohlen.
Nach Auswertung dieses Gutachtens hat das beklagte Land mit Schreiben vom 8. Januar 2020 ein Teilanerkenntnis erklärt und den GdB ab dem 1. April 2017 mit 40 festgestellt. Diese Entscheidung hat sich auf folgende Funktionsbeeinträchtigung gestützt: „Seelische Störung, chronische Schmerzstörung (Einzel-GdB: 40)“. Die Lungenfunktionsstörungen und den Schultergelenkschaden rechts hat das beklagte Land jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet (Ausführungsbescheid vom 8. Januar 2020). Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 3. Februar 2020 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf einen GdB von mehr als 40. Das psychische Leiden einschließlich der chronischen Schmerzstörung sei mit einem GdB von 40 zu bewerten, insoweit sei der Bescheid über die Gewährung von Beschädigtenversorgung vom 23. Oktober 2019 maßgeblich. Die Lungenfunktionsstörung mit leichten Funktionsbeeinträchtigungen sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Die Klägerin betreibe zweimal wöchentlich Wassergymnastik und sei körperlich belastbar. Der Untersuchungsbefund der Sachverständigen sei weitgehend unauffällig gewesen. Gegenteiliges werde auch nicht durch die vorliegenden Befundberichte des die Klägerin behandelnden Internisten Dr. F. belegt. Die Lungenfachärztin Dr. G., bei der die Klägerin in einem zehnjährigen Abstand insgesamt nur zweimal vorstellig geworden sei, habe nur eine geringe Funktionseinschränkung dokumentiert. Das Migräneleiden sei mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Dieses sei von der Klägerin unterschiedlich geschildert und auch nicht fachärztlich behandelt worden. Ein Migräne-Tagebuch habe die Klägerin zu keinem Zeitpunkt vorgelegt. Der Schultergelenkschaden rechts sei mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Die Gesamtheit der gesundheitlichen Störungen könne nicht mit einem höheren Gesamt-GdB als 40 bewertet werden.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 8. Februar 2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 26. Februar 2020 Berufung eingelegt. Sie verlangt nach wie vor die Feststellung eines GdB von 50. Zur Begründung weist sie darauf hin, lungenfachärztlich werde sie durchgängig und regelmäßig von Dr. F. betreut, der auch Medikamente verordnet habe, die sie einnehme. Sie leide unter einer COPD, bereits bei alltäglicher leichter Belastung, wie z. B. Spazierengehen oder Treppensteigen bis zu einem Stockwerk habe sie Beschwerden, was einen Einzel-GdB von 40 bis 50 rechtfertige. Die chronische Schmerzstörung sei im Rahmen der seelischen Störung nicht hinreichend bewertet worden. Dieses sei gegebenenfalls besonders zu bewerten. Insbesondere sei sie aufgrund schmerzbedingten Schlafmangels tagsüber nicht funktionsfähig, weshalb die Schmerzen mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten seien. Schließlich leide sie an Migräneanfällen zwischen ein- und fünfmal im Monat, diese dauerten drei Tage, die Anfälle seien schwer, gingen einher mit Übelkeit und Störungen des Sehvermögens. Insgesamt handele es sich um eine schwere Form der Migräne.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 3. Februar 2020 aufzuheben und den Bescheid des beklagten Landes vom 15. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2019 sowie des Teilanerkenntnisses und des Ausführungsbescheides vom 8. Januar 2020 abzuändern,
2. das beklagte Land zu verurteilen, ab dem 1. April 2017 den GdB mit 40 festzustellen.
Das beklagte Land beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 3. Februar 2020 zurückzuweisen.
Es hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und seinen mit ihm überprüften Bescheid in der Gestalt des zwischenzeitlich erklärten Teilanerkenntnisses für zutreffend.
Das Gericht hat im vorbereitenden Verfahren Beweis erhoben durch Beiziehung von Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte sowie durch Einholung eines Gutachtens des Orthopäden Dr. H. Dieser Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 29. Dezember 2020 im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin habe zwar Schmerzen im gesamten Körper angegeben, klinisch habe er aber keine Hinweise, insbesondere keine Triggerpunkte, die auf eine Fibromyalgie hinweisen könnten, finden können. Die Klägerin habe auch angegeben, sie leide unter Schmerzen in der Halswirbelsäule mit Gefühlsstörungen in den Händen. Klinisch habe sich aber keine wesentliche Einschränkung der Beweglichkeit der HWS finden lassen. Bezüglich der rechten Schulter lasse sich eine Einschränkung der Beweglichkeit objektivieren, die Kraft in der Außenrotation sei gering eingeschränkt. Funktionseinschränkungen des Handgelenks oder der Finger bestünden nicht. Die Beweglichkeit der Brustwirbelsäule sei bei Inklination und der Reklination aufgehoben, die Rotation schmerzhaft eingeschränkt. Neurologisch ließen sich keine Ausfälle nachweisen. Die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule sei nicht eingeschränkt. Die Hüften seien unauffällig in ihrer Funktion. Auch die Beweglichkeit in den Knien sei nicht eingeschränkt. Klinisch habe sich ein unauffälliger Befund der Achillessehne und Plantarfascie gezeigt. Der Bandscheibenvorfall in der Brustwirbelsäule mit Einschränkung der Beweglichkeit sei bisher nicht berücksichtigt worden und rechtfertige die Annahme von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt mit einem Einzel-GdB von 20. Zusammenfassend bestünden psychoreaktive Störungen mit einem Einzel-GdB von 40, Wirbelsäulenbeschwerden mit einem Einzel-GdB von 20, Lungenfunktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 20; die mittelgradige Verlaufsform der Migräne sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Der Schultergelenksschaden mit möglicher Armhebung bis 140 Grad sei gering ausgeprägt und mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Die Lungenfunktionsstörung sei eher eine leichte Beeinträchtigung und wirke sich nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB aus, die Migräne habe psychische Komponenten und damit Überschneidungen mit der psychoreaktiven Störung. Auch sie wirke sich daher nicht erhöhend aus. Unter Berücksichtigung der Wirbelsäulenbeschwerden sei für die Klägerin ein Gesamt-GdB von 50 ab dem 12. November 2019 anzunehmen. Im Zeitraum davor betrage der GdB 40.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird im Übrigen auf das genannte Gutachten, den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Die Beteiligten habe sich übereinstimmend mit einer Entscheidung der Berichterstatterin als Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten in der Gestalt, die er zwischenzeitlich durch das Teilanerkenntnis bzw. den Ausführungsbescheid vom 8. Januar 2020 erhalten hat, ist nicht rechtswidrig. Auch nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin gemäß § 152 Abs. 1 SGB IX (in der seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung) bzw. § 69 Abs. 1 SGB IX a.F. i.V.m. der auf Grundlage des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (im Folgenden: VMG) kein Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 für die Zeit seit April 2017 zu.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen auf Seiten 4 bis 9 der Entscheidungsgründe des mit der Berufung angefochtenen Gerichtsbescheides Bezug genommen. Im Hinblick auf die vom SG angenommene Bindungswirkung des Erstanerkennungsbescheides über die Gewährung von Beschädigtenversorgung vom 23. Oktober 2019, den Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren sowie die vom Berufungsgericht durchgeführten Ermittlungen ist noch auf Folgendes hinzuweisen:
1. Zu Recht ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass im Vordergrund der hier zu bewertenden Funktionsbeeinträchtigungen psychische Beschwerden und Schmerzen der Klägerin stehen. Dies hatte die Klägerin selbst während des Klageverfahrens deutlich gemacht und ist auch von dem beklagten Land so gesehen worden, das zwischenzeitlich die seelische Störung einschließlich der chronischen Schmerzstörung mit einem Einzel-GdB von 40 bewertet hat. Das Gericht ist in seiner Entscheidung insoweit allerdings weder an diesen, im Ausführungsbescheid vom 8. Januar 2020 genannten Einzel-GdB (vgl. hierzu a)), noch an die entsprechende Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) in dem Erstanerkennungsbescheid über die Gewährung von Beschädigtenversorgung vom 23. Oktober 2019 (vgl. hierzu b)) gebunden. Randnummer22 a) In dem Regelungsbereich des § 152 SGB IX kennt das Gesetz keine Bindungswirkung eines "Einzel-GdB" für die Gesamtbeurteilung (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 5. Juli 2007, B 9/9a SB 12/06 R, zitiert nach Juris Rn. 17 zu der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift (§ 69 SGB IX)). Wie das BSG (in ständiger Rechtsprechung) entschieden hat, gibt es nur einen Gesamtzustand der Behinderung. Dieser kann zwar auch auf den Auswirkungen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen beruhen, ist aber stets nur mit einem (Gesamt-)GdB zu bewerten. Den bei der Festsetzung des Gesamt-GdB zugrunde gelegten einzelnen GdB für jeweils gesondert betrachtete Beeinträchtigungen ("Einzel-GdB") kommt mithin keine Bindungswirkung zu. Bei den "Einzel-GdB" handelt es sich nur um Einsatzgrößen, mit denen die Gesamtbeurteilung einerseits vorbereitet, andererseits nachvollziehbar begründet und damit überprüfbar gemacht wird. Darin erschöpft sich die Bedeutung der "Einzel-GdB". Sie gehen als bloße Messgrößen für mehrere zugleich vorliegende Funktionsbeeinträchtigungen restlos in der Gesamtbeurteilung des GdB auf, und dieser allein gibt das Maß der Behinderung nach den Gesamtauswirkungen sämtlicher Funktionsbeeinträchtigungen an (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 20007, B 9/9a SB 12/06 R, zitiert nach Juris Rn. 18 zu der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift (§ 69 SGB IX)). Der vollständige und einzig erforderliche Verfügungssatz eines Bescheides nach § 152 SGB IX könnte danach im Fall der Klägerin wie folgt lauten: Bei Ihnen wird eine Behinderung mit einem Grad von 40 festgestellt. Daraus folgt, dass im Bescheid ausgewiesene Einzel-GdBs weder in Bindungswirkung erwachsen, noch isoliert anfechtbar bzw. einklagbar sind (vgl. auch Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Juni 1998, B 9 SB 17/97 R, zitiert nach juris).
b) Aus dem Erstanerkennungsbescheid über die Gewährung von Beschädigtenversorgung vom 23. Oktober 2019, mit dem für die Klägerin als Schädigungsfolge eine „psychoreaktive Störung“ anerkannt und diese ab dem 1. Juni 2018 mit einem GdS von 40 bewertet worden ist, folgt ebenfalls keine bindende Wirkung für die im vorliegenden Verfahren zu bewertende Funktionsbeeinträchtigung der Psyche mit einem (Einzel-)GdB. Randnummer24 Ein Anwendungsfall von § 152 Abs. 2 SGB IX liegt hier nicht vor. Seinem Wortlaut nach sieht § 152 Abs. 2 SGB IX lediglich vor, dass eine Feststellung nach Abs. 1 bei Vorliegen einer anderweitigen MdE-Feststellung nicht zu treffen ist. § 152 Abs. 2 SGB IX lässt (in Bezug auf die Beurteilung einzelner Funktionsbeeinträchtigungen) einen nur teilweisen (partiellen) Verzicht auf eigenständige Feststellungen der Versorgungsbehörden nach Abs. 1 dieser Vorschrift nicht zu. In Satz 1 des Abs. 2 heißt es gerade nicht "Feststellungen nach Abs. 1 sind nicht zu treffen, soweit eine Feststellung ..". Mit der Verwendung des Wortes " wenn " macht das Gesetz deutlich, dass die Absätze 1 und 2 des § 152 SGB IX einander ausschließen. Daraus folgt: Entweder es liegt nach Maßgabe des Abs. 2 eine hinreichende anderweitige Feststellung vor; dann scheidet ein Vorgehen nach Abs. 1 vollständig aus. Oder die Voraussetzungen des Abs. 2 sind nicht gegeben; dann ist ausschließlich nach Abs. 1 zu verfahren. Eine anderweitige MdE/GdS-Feststellung im Sinne von Abs. 2 ist mithin im Rahmen des Schwerbehindertenrechts nur dann maßgebend, wenn sie eine Feststellung nach Abs. 1 SGB IX gänzlich erübrigt und damit an deren Stelle treten kann. Eine Bindungswirkung kommt also nicht in Betracht, wenn die anderweitige Feststellung der MdE/GdS sich nur auf eine einzelne Funktionsstörung bezieht, die Versorgungsbehörde für die Feststellung des GdB aber weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen zu berücksichtigen hat. Die Versorgungsbehörde hat in diesem Fall auch hinsichtlich der von der anderweitigen Entscheidung betroffenen Funktionsstörung eigenständige Feststellungen im Rahmen der Gesamtbeurteilung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2007, B 9/9a SB 12/06 R, zitiert nach Juris Rn. 15 zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift (§ 69 Abs. 2 SGB IX)). Eine Verbindlichkeit der GdS-Feststellung für die Schädigungsfolgen der Klägerin für die Bildung des GdB widerspricht auch der Systematik des § 152 SGB IX, der keine Bindungswirkung eines "Einzel-GdB" für die Gesamtbeurteilung des GdB kennt (vgl. hierzu auch oben unter a)). Mit dem generellen Ausschluss einer Bindungswirkung von "Einzel-GdB" wäre es unvereinbar, eine anderweitige MdE/GdS-Feststellung im Rahmen der Gesamtbeurteilung nach § 152 Abs. 1, Abs. 3 SGB IX als verbindlich anzusehen. Die Übernahme einer bereits vorgenommenen Bewertung des GdB dient allein der Verwaltungsvereinfachung. Diese wird nur in jenen Fällen vollständig erreicht, in denen Feststellungen nach § 152 Abs. 1 SGB IX entbehrlich sind. Soweit die Gesamtbeurteilung der Behinderung durch eine Bindung an einzelne anderweitige MdE-Feststellungen erleichtert würde, hat der Gesetzgeber dieses Ziel nicht angestrebt (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2007, B 9/9a SB 12/06 R, Rn. 19 m.w.N. zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift (§ 69 Abs. 2 SGB IX)).
c) Diese Grundsätze vorausgesetzt, erscheint die Bewertung des psychischen Leidens der Klägerin mit einem Einzel-GdB von 40 als bereits sehr großzügig und ist nach Ansicht des Berufungsgerichts jedenfalls nur unter Einbeziehung der von der Klägerin empfundenen Schmerzen gerechtfertigt. Eine gesonderte bzw. zusätzliche Bewertung von Schmerzen neben der Bewertung des psychischen Leidens kommt – entgegen der Forderung der Klägerin – nicht in Betracht. Nach Teil B 3.7 der VMG sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 und stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten. Erst schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheiten) können mit einem GdB von 50 oder höher bewertet werden. Derart schwere psychische Störungen, die einen GdB von 50 oder mehr rechtfertigen könnten, liegen bei der Klägerin unzweifelhaft nicht vor. Die Klägerin selbst hat solches nicht behauptet bzw. geltend gemacht und auch kein Arzt – auch nicht der im Rentenverfahren auf Veranlassung der Deutschen Rentenversicherung Bund tätig gewordene Gutachter Dr. I. – hat für die Klägerin das Bestehen einer derart schweren psychischen Störung i.S.v. Teil B Nr. 3.7 VMG festgestellt bzw. beschrieben.
Allerdings ist die psychische Erkrankung der Klägerin als „stärker behindernde Störung“ anzusehen, die den Bewertungsrahmen von 30 bis 40 eröffnet, was auch das beklagte Land so sieht. Für diese Einschätzung spricht, worauf der Gutachter Dr. I. hingewiesen hat, dass bei der Klägerin eine lange Krankheitskarriere zu verzeichnen ist, mit bereits seit der Kindheit und Jugend auftretenden depressiven Symptomen und einer ab 2010 sich verstärkenden Erkrankung, die Anlass für eine im Jahr 2016 durchgeführte dreimonatige stationäre fachpsychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung (J.) gewesen ist. Auch in den danach folgenden Jahren sind bei der Klägerin fortdauernde psychische Funktionsbeeinträchtigungen beschrieben worden, etwa durch Dr. K. im Oktober 2019, der Sachverständigen Dr. E. im Dezember 2019, Dr. F. im Juli 2020 und den Ärzten des L. im Jahr 2020. Darüber hinaus hat die Klägerin krankheits(mit)bedingt ihre berufliche Tätigkeit nicht durchhalten können und ist berentet worden (vgl. Gutachten des Dr. I. vom 18. Mai 2017 sowie Prüfvermerk des Dr. M. vom 2. Juni 2017). Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der GdB nach Teil A Nr. 2b) VMG unabhängig vom ausgeübten oder angestrebten Beruf zu beurteilen ist, zeigt sich nach Überzeugung des Gerichts hieran, dass die Psyche der Klägerin in ihrer Funktionsfähigkeit doch so erheblich eingeschränkt gewesen ist, dass sie den Anforderungen ihrer beruflichen Tätigkeit nicht mehr gewachsen war. Unter diesen Umständen vom Bestehen einer nur „leichteren psychischen Störung“ auszugehen und diese (nur) mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten, erscheint gerade und auch vor dem Hintergrund der Krankheitsgeschichte nicht sachgerecht. Im Übrigen lassen sich den vorliegenden Unterlagen auch Anhaltspunkte für einen krankheitsbedingten sozialen Rückzug der Klägerin entnehmen, die die Annahme von stärker behindernden psychischen Störungen und damit der Rahmenbewertung eines Einzel-GdB von 30 bis 40 rechtfertigen. So hat die Klägerin dem Gutachter Dr. I. darüber berichtet, nach dem Verlust des Arbeitsplatzes Ende 2015 die Flucht ergriffen zu haben und aus der Region N. (O.) nach P. umgezogen zu sein. Sie hat über ein laufendes Insolvenzverfahren – ausgelöst durch Schulden im Zusammenhang mit Pferdekäufen – Ärger mit dem Vermieter und Streit mit dem Sohn berichtet. Sie habe ihre Pferde und Katzen abgeben müssen, sei zu Freunden nach P. gezogen, die einzigen, „die sie haben wollten“. Im Oktober 2016 sei auch die Trennung von ihrem Freund erfolgt, er habe per SMS die Beziehung beendet. Die Wohnsituation bei den Freunden sei eine Notlösung, sie „schwimme bei denen so mit“, diese würden Hunde und Pferde züchten, was eine gewisse Abwechslung, ihr aber zu viel sei. Außer zu diesen Freunden habe sie wenig Kontakt, habe eine Freundin in Q. und eine Freundin in der O. Zu ihren Geschwistern und der Mutter in R. sei der Kontakt angespannt, ebenso zu ihrem ältesten Sohn, der an Schizophrenie leide. Am ehesten habe sie noch Kontakt zur ihrer Tochter.
Andererseits kann das Gericht nicht die Augen davor verschließen, dass es der Klägerin trotz der bei ihr bestehenden psychischen Funktionsbeeinträchtigungen im Laufe des Jahres 2017 gelungen ist, von P. wieder zurück in die Region N. (S.) zu ziehen, sich dort seitdem wieder selbständig in einem Haushalt zu versorgen und ihren Alltag zu organisieren (vgl. Bericht des T. vom 19. Dezember 2017, Gutachten der Sachverständigen Dr. E., Seite 4). So hat Dr. F. unter dem 21. September 2017 notiert, die Klägerin habe wieder eine eigene Wohnung und mache einen Minijob bei Krankentransporten (Befundbericht vom 26. Juni 2019). Dabei hat sich die Klägerin auch weiter dem Pferdesport zuwenden können. Jedenfalls hat Dr. F. in seinen Befundberichten vom 29. Juni 2018 und 26. Juni 2019 drüber berichtet, im Juni 2017 habe es (weiterhin) Schwierigkeiten mit dem Kauf des Pferdes gegeben und die Klägerin sei am 18. Januar 2018 von einem Pferd an den Kopf getreten worden. Unter dem 20. August 2018 hatte dieser Arzt notiert, zurzeit bestehe bei der Klägerin ein ausgeprägter Zeitmangel, sie fahre auf direkte Bestellung Krankentransporte, dadurch gestörter Tagesrhythmus. Ende des Jahres fänden Ausstellungen und Reitturniere statt, die Klägerin wolle ihr Pferd dort nochmals vorstellen.
Auch im danach folgendem Jahr 2019 war die Klägerin umfassend mit ihrem Pferd U. beschäftigt. Dies ergibt sich aus den Eintragungen in dem Kalender für das Jahr 2019, den die Klägerin im Berufungsverfahren zur Akte gereicht hat. Hier hat sie u.a. notiert: U. holen, reiten, Reitturniere (V., W., X., Y.) Hengstleistungsprüfung (HLP) Gestüt Z., Reiten und Fahren, Springen, Ausreiten, Ausdauer, Schautraining, Distanz (37,7; 37,9), Freispringen, Gelände, Abtrainieren, Tierärztliche Hochschule (TiHo), Schmied. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Klägerin nach dem Jahr 2019 weniger intensiv ihrem Pferd bzw. dem Pferdesport gewidmet hat, finden sich nicht in der Aktenlage; jedenfalls hat sie noch im November 2020 dem Sachverständigen Dr. H. über Schmerzen beim Reiten berichtet (vgl. Gutachten vom 29. Dezember 2020, Seite 12).
Die psychischen Beschwerden waren im Jahr 2019 auch nicht (mehr) derart stark ausgeprägt, dass die Klägerin der weiteren fachpsychiatrischen Behandlung oder einer Psychotherapie bedurft hat. Der Sachverständigen Dr. E. hat die Klägerin im November 2019 darüber berichtet, sie erhalte aktuell keine Psychotherapie, sie sei psychisch durch die Berentung entlastet. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin im Mai 2020 dementsprechend auch keinen sie behandelnden Psychiater oder Psychotherapeuten mehr benannt, was im Ergebnis nicht für einen ausgeprägten Leidensdruck bzw. eine Therapie- oder Veränderungsmotivation spricht. Daraus kann das Gericht nur den Rückschluss ziehen, dass der Leidensdruck der Klägerin trotz der psychischen Beschwerden offenbar nicht erheblich stark ausgeprägt ist.
Damit ist die Bewertung der psychischen Beschwerden der Klägerin mit dem oberen Rahmenwert eines Einzel-GdB von 40 nur unter Berücksichtigung der von der Klägerin empfundenen Schmerzen möglich, wie es ja auch das beklagte Land mit seinem Teilanerkenntnis und Ausführungsbescheid vom 8. Januar 2020 bereits getan hat und was auch den Einschätzungen der behandelnden Ärzte der Klägerin entspricht. In diesem Sinn haben die Ärzte der AA. (AB.) schon im Dezember 2015 von einer Komorbidität der (leichten) depressiven Episode und der von ihnen für die Klägerin diagnostizierten anhaltenden somatoformen Schmerzstörung gesprochen, nachdem die Klägerin dort über Muskelschmerzen und einem seit mehreren Jahren bestehenden „Muskelkaterkorsett“ geklagt hatte (vgl. Entlassungsbericht der AB. vom 21. Dezember 2015). Im AC. ist für die Klägerin ebenfalls u.a. die Diagnose „chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ gestellt worden (vgl. Bericht vom 5. Mai 2020, 11. Juni 2020). Schließlich hat der Sachverständige Dr. H. in seinem Gutachten im Dezember 2020 auf von der Klägerin geäußerte Schmerzen im gesamten Körper hingewiesen, ohne dafür – mit Ausnahme der rechten Schulter und der Brustwirbelsäule – klinische Korrelate gefunden zu haben; insbesondere hat der Sachverständige auch keine Hinweise oder Triggerpunkte gefunden, die auf eine Fibromyalgie hinweisen. Letztlich hat der Sachverständige die von der Klägerin beklagten Schmerzen der psychoreaktiven Störung zugeordnet. Die Berücksichtigung von Schmerzen mit einem Einzel-GdB, wie sie die Klägerin mit der Berufung geltend macht und insoweit die besondere Bewertung einer chronischen Schmerzstörung mit einem Einzel-GdB von 40 neben den psychischen Beschwerden fordert, ist damit nicht möglich.
2. Darüber hinaus leidet die Klägerin nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. E. an einer leichten Lungenfunktionsstörung, die nach Auffassung des Gerichts gemäß Teil B Nr. 8.3 VMG einen Einzel-GdB von 10 bedingt. Das Gericht teilt insoweit nicht die Empfehlung der Sachverständigen, die für diese Funktionsbeeinträchtigung einen Einzel-GdB von 20 notiert hat. Die von der Sachverständigen dokumentierten Messwerte der Lungenfunktionsprüfung sind nicht durchgängig so niedrig bzw. schlecht, als dass nach Teil B Nr. 8.3 VMG die Bewertung mit einem Einzel-GdB von 20 möglich wäre. Die Behauptung der Klägerin, sie leide bereits bei alltäglicher leichter Belastung unter Atemnot, wurde von keinem ihrer behandelnden Ärzte bestätigt. Stattdessen hat die Lungenärztin Dr. G. in ihrem Befundbericht vom 2. Juli 2019 die Bewertung der Atemwegserkrankung mit „10 %“ bestätigt und Lungenfunktionswerte vom 14. Mai 2019 mitgeteilt, die eine leicht erniedrigte Belastbarkeit dokumentieren und die Einschätzung dieser Ärztin mit einem Einzel-GdB von 10 stützen. Es sind auch keine ärztlichen Beobachtungen dazu notiert worden, dass die Klägerin bei mittelschwerer Belastung unter das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot leidet; zu letzterem hat auch die Sachverständige keine Feststellungen getroffen. Dr. E. hat lediglich davon berichtet, bei Belastungen bekäme die Klägerin schnell einen „roten Kopf“ und leide besonders in trockener Luft unter Reizhusten. Es bestehe keine anfallsweise Dyspnoe. Bei der körperlichen Untersuchung war der Bewegungsablauf der Klägerin regelrecht, keine Dyspnoe beim An- und Auskleiden. Diese Feststellungen der Sachverständigen zu auftretender Atemnot unter Belastung sind nicht ausreichend, um einen Einzel-GdB von 20 zu rechtfertigen. Hinzu tritt der Umstand, dass die Klägerin der Sachverständigen im November 2019 nichts von ihrem Pferd und den damit im Jahr 2019 zusammenhängenden (körperlichen) Aktivitäten berichtet hat, was aber für eine valide Einschätzung der körperlichen Belastbarkeit von Interesse gewesen wäre. Schließlich überzeugt die Empfehlung eines Einzel-GdB von 20 auch deshalb nicht, weil die Sachverständige ausdrücklich darauf hingewiesen hat, die Gesundheitsstörung eher als chronische Lungenfunktionsstörung, als ein Asthma bronchiale anzusehen; ein typisches Asthma liege nicht vor, hier wäre der GdB bei Fehlen typischer Anfälle „sicher nicht höher als mit 10 zu bewerten“. Bei ihren Überlegungen übersieht die Sachverständige, dass der GdB nicht diagnosebezogen ist, sondern die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen zum Inhalt hat. Für die Bewertung des GdB kommt es damit in erster Linie auf die Schwere der Funktionsbeeinträchtigung, nicht aber die konkrete Diagnose an. Es überzeugt deshalb nicht, wenn die Sachverständige für dieselbe Erkrankung einerseits einen Einzel-GdB von 20 vorschlägt, andererseits aber nicht höher als mit 10 bewerten würde. Im Übrigen hat die Klägerin auch im Berufungsverfahren keinen sie behandelnden Facharzt für Lungenheilkunde benannt, sondern ausschließlich auf Medikamente verwiesen, die ihr ihr Hausarzt Dr. F. verschreibe. Indessen hat dieser Arzt mit seinem Befundbericht vom 10. Juli 2020 einen Medikamentenplan für die Klägerin übersandt, der keine Medikamente für Krankheiten der Atmungsorgane enthält. Insgesamt sieht das Gericht nicht genügend Anhaltspunkte für das Bestehen einer Atemwegserkrankung mit einer derartigen Einschränkung der Lungenfunktion, die mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet werden könnte.
3. Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Migräne hat das Berufungsgericht nicht mehr Erkenntnisse gewonnen, als bereits das Sozialgericht in seiner Entscheidung herausgearbeitet hat. Auch im Berufungsverfahren hat die Klägerin ein Migränetagebuch zur Glaubhaftmachung der von ihr behaupteten Migräneanfälle nicht vorgelegt. Stattdessen hat sie Ablichtungen eines Kalenders für das Jahr 2019 zur Akte gereicht, in dem solche Tage farblich gekennzeichnet sind, an denen sie an Migräne – Kopfschmerz mit Aura, Übelkeit und Durchfall – gelitten habe. Einerseits enthält dieser Kalender aber keine ausreichend verwertbaren Informationen zum Auftreten der Kopfschmerzen nach Tageszeit, Dauer, Intensität sowie der genauen Art der Begleiterscheinungen. Andererseits sind an vielen der von der Klägerin gekennzeichneten „Migräne“-Tage auch Termine eingetragen, ohne dass die Klägerin hierzu vorgetragen hätte, diese Termine migränebedingt nicht habe wahrnehmen können. Haben im Übrigen die von der Klägerin im Berufungsverfahren benannten Ärzte des L. sowie Dr. F. mitgeteilt, die Migräne sei nicht der Grund gewesen, weshalb sich die Klägerin dort vorgestellt habe (vgl. Befundbericht vom 17. Juli 2020 sowie 10. Juli 2020) so verbleibt für das Berufungsgericht kein Anhaltspunkt mehr für die Annahme, bei der Klägerin bestehe eine stärkere Migräne als einer leichten Verlaufsform. Eine höhere Bewertung als mit einem Einzel-GdB von 10 ist damit nach Teil B Nr. 2.3 VMG nicht möglich, zumal die von der Klägerin empfundenen unklaren Schmerzen „am ganzen Körper“ auch schon in dem Einzel-GdB von 40 umfasst sind (vgl. hierzu oben unter 1.).
4. Das Wirbelsäulenleiden ist ab dem Zeitpunkt des dokumentierten Bandscheibenvorfalls und den damit zusammenhängenden Funktionsbeeinträchtigungen im November 2019 mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Für Wirbelsäulenfunktionseinschränkungen sind die maßgeblichen Bewertungskriterien in Teil B 18.9 (S. 110) der VMG vorgegeben. Danach folgt der Grad der Behinderung bei Wirbelsäulenschäden primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung, der Wirbelsäuleninstabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Abschnitte der Wirbelsäule. Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, wie rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Erst Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) rechtfertigen einen Einzelgrad der Behinderung von 20. In den Blick zu nehmen sind dabei auch die allgemeinen Vorgaben der VMG, wonach der GdB ein Maß für die Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens ist (vgl. Teil A Nr. 2 a). Die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte schließen die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. Nur dann, wenn nach Ort und Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit nachgewiesen ist, die eine ärztliche Behandlung erfordert, können höhere Werte angesetzt werden (vgl. Teil A Nr. 2 j) VMG). Dies vorausgesetzt sind bei der Bemessung des GdB im Regelfall in erster Linie die Funktionsbeeinträchtigungen maßgebend, nicht aber die (üblichen) Schmerzen. Der Sachverständige Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 29. Dezember 2020 im Bereich der rechten Schulter und der Brustwirbelsäule Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt: Klinisch war die Beweglichkeit in der Brustwirbelsäule bei Inklination und Reklination aufgehoben, die Rotation schmerzhaft eingeschränkt, es bestand auch ein Achsenstauchungsschmerz. Diese mittelgradige funktionelle Auswirkung in einem Wirbelsäulenabschnitt ist mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Die Armhebung gelang der Klägerin mit 140 Grad (rechts) bzw. 160 Grad (links), so dass der Sachverständige Dr. H. in Übereinstimmung mit Teil B Nr. 18.13 VMG hierfür einen Einzel-GdB von 10 empfohlen hat. Im Übrigen hat der Sachverständige unauffällige Befunde auf orthopädischen Fachgebiet mitgeteilt.
5. Gesamt-GdB: Auf der Grundlage der vorbenannten Funktionsbeeinträchtigungen ist ein Gesamt-GdB in Höhe von 50 für die Klägerin tatsächlich nicht erreichbar. Nach Teil A 3 a) VMG sind, sofern mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend. Insoweit zu Recht hat der Sachverständige Dr. H. darauf hingewiesen, die Lungenfunktionsstörung sei eher eine leichte Beeinträchtigung und wirke sich somit nicht erhöhend auf den GdB aus. Die Krankheit der Migräne habe psychische Komponenten und damit Überschneidungen mit der psychoreaktiven Störung und wirke sich ebenfalls nicht erhöhend aus. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass – von Ausnahmefällen abgesehen – leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (vgl. Teil A 3 d) ee) VMG). Dies berücksichtigend, führen die Atemwegs- und Kopfschmerzerkrankung sowie die Beschwerden in der rechten Schulter, die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind, nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB. Nach Ansicht des Gerichts erhöht sich der Gesamt-GdB entgegen der Ansicht des Sachverständigen Dr. H. auch nicht unter Berücksichtigung der Wirbelsäulenbeschwerden, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sind. Denn auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A 3 d) ee) VMG). Weil – wie oben ausführlich dargestellt – bei der Klägerin eine sehr große Überschneidung der orthopädischen Beschwerden, der Schmerzen und der psychischen Störungen besteht, erscheint es nicht sachgerecht, abweichend vom aufgezeigten Grundsatz den (angenommenen) Einzel-GdB von 40 unter Berücksichtigung des Einzel-GdB von 20 auf einen Gesamt-GdB von 50 zu erhöhen. Dass die Klägerin – wie sie vorträgt – „an krankheitsbedingten Einschränkungen“ leidet, wird ohne Weiteres angemessen – und im Übrigen nach den Vorgaben der VMG auch zutreffend – durch den zuerkannten GdB von 40 abgebildet und anerkannt. Eine Zuerkennung eines GdB von 50 ist hierfür nicht erforderlich und unter Berücksichtigung der bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen auch nicht gerechtfertigt. Schließlich ist für die Frage, ob die Schwerbehinderteneigenschaft anzuerkennen ist, auch für die Zeit nach Geltung der Anhaltspunkte eine Vergleichsbetrachtung mit Personen erforderlich, die aufgrund eines Leidens nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen einen GdB von 50 erhalten würden (vgl. auch Teil A 3 b) VMG). Dies ist beispielsweise der Fall bei dem Verlust einer Hand, dem Verlust eines Beines im Unterschenkel, einer vollständigen Versteifung großer Teile der Wirbelsäule oder Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung. Eine mit diesen Beeinträchtigungen vergleichbare Behinderung liegt bei der Klägerin nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.